mein hvv switch Punkt
Lesedauer 3 Min.Am neuen Pferdemarkt mit Jakob Berndt
Über 130 hvv switch Punkte gibt es in Hamburg. Mit manchen hat man seine ganz eigene Geschichte. Wir treffen spannende Menschen unserer Stadt – an Stationen, die sie häufig nutzen. Dieses Mal: Jakob Berndt, Mitgründer von Tomorrow, Lemonaid und Charitea.
Jakob Berndt ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was man sich unter einem Bankchef vorstellt. Er trägt weder Anzug noch Hemd, sondern Jeans und Pulli. Er verbringt seine Wochenenden auf einem Campingplatz unweit des Plöner Sees und ärgert sich über dicke SUVs, anstatt einen zu fahren. Chef einer Bank ist er trotzdem.
Gemeinsam mit Inas Nureldin und Michael Schweikart hat er 2017 Tomorrow gegründet, einen nachhaltigen digitalen Banking-Anbieter. Was hier anders läuft als bei vielen anderen Banken, ist schnell erklärt: Geld wird in Lieferanten für Fahrradteile oder erneuerbare Energie investiert statt in Waffen, Kohlekraft oder andere Dinge, die Mensch und Natur nachweislich schaden. Kapital soll sich nicht nur vermehren – sondern sinnvoll eingesetzt werden.
Als Gründer hat sich Jakob bereits lange vor seiner Banking-Karriere über Hamburg hinaus einen Namen gemacht: als Co-Founder von Lemonaid und Website Lemonaid & Charitea. Die Getränkemarken sollten im Grunde das Gleiche leisten wie jetzt Tomorrow: Profit sinnvoll einsetzen. 5 Cent pro verkaufter Flasche fließen auch heute noch automatisch in einen gemeinnützigen Verein. Social Business nennt man das. 2017 zog sich Jakob bei den Getränkemarken zurück und wechselte von der Bio-Limo ins Banken-Business.
Wir treffen Jakob am hvv switch Punkt Neuer Pferdemarkt.
Jakob, wir treffen uns am Neuen Pferdemarkt – weil hier das Büro von Tomorrow ist?
Das auch, ja. Als eure Anfrage kam, habe ich aber tatsächlich als allererstes an den hvv switch Punkt Hoheluftbrücke gedacht.
Warum?
Es war der erste Verkehrsknotenpunkt, mit dem ich in Berührung kam, weil ich dort aufgewachsen bin. Die ersten 20 Jahre meines Lebens war das mein Tor zur Welt. Reisen gingen hier in der U-Bahn los, Partynächte, alles. Aber das ist so lange her – und diese Ecke hier ist für mich seit vielen Jahren ein wichtiger Ort. Ich habe fast 20 Jahre auf St. Pauli gewohnt. Meine Kinder kamen zur Welt, als wir hier gelebt haben. Es ist nah dran am Millerntor, wo ich gerne bin, und wenn ich ausgehe, dann hier – was jetzt nicht mehr so wahnsinnig häufig der Fall ist mit drei Kindern…
Gerade kamst du gelaufen. Wie bewegst du dich sonst durch Hamburg?
Aktuell bewege ich mich vor allem viel mehr als früher, denn wir sind mit der Familie Richtung Lokstedt gezogen. Vorher fanden Freizeit und Arbeit in einem relativ überschaubaren Radius statt. Jetzt sind die Wege länger, ich fahre trotzdem fast immer Rad. Wenn ich nicht Fahrrad fahre, gehe ich viel zu Fuß. Danach kommt der öffentliche Nahverkehr, dann das Auto. In der Reihenfolge.
Nutzt du Carsharing?
Lange schon nicht mehr regelmäßig, ehrlich gesagt. Müssen wir das Interview jetzt abbrechen? (lacht)
Nee! Aber uns interessiert natürlich, warum?
Wir haben uns - nach vielen Jahren ohne - irgendwann tatsächlich ein Familienauto gekauft. Das ist mit drei Kindern einfach praktischer – beim Carsharing hat man ja traditionell das Problem mit den Kindersitzen. Aber wenn ich nicht mit den Kids unterwegs bin, fahre ich eigentlich fast gar kein Auto.
Aus nachhaltigen oder aus sportlichen Gründen?
Ich fahre vor allem einfach unfassbar ungerne Auto. Auf den Bergstrassen Korsikas – meinetwegen! Aber in der Stadt sind die Straßen so voll. Ich kann Stau schwer ertragen, ich bin ein wahnsinng ungeduldiger Mensch. Und meist steht man ja mehr, als man fährt. Dazu kommt das Gefühl, dass man in einem großen Stück Blech unnötig Ressourcen verbraucht und dabei die Luft verschlechtert…
Nutzt du E-Scooter?
Ne. Da bin ich irgendwie skeptisch… Auch wenn ich natürlich weiß, dass wir sie punktuell für eine Mobilitätswende brauchen. Auch wenn’s nervt: Im Zweifel liegen ja besser Roller rum, als dass überall Autos stehen. Über Autos meckert aber niemand – weil sich alle an parkende Autos gewöhnt haben.
Was würdest du dir für Hamburg in Sachen Mobilität wünschen?
Es geht in Hamburg schon in die richtige Richtung. Trotzdem schaue ich mit Neid und Faszination auf Städte wie Paris, in denen die Verkehrswende konsequent gelebt und durchgesetzt wird. Ich wohne nahe der Hoheluftchaussee: sechs Spuren für motorisierten Verkehr, kaum Platz für Radfahrer oder Fußgänger. Und die Leute wundern sich, warum dort jeder zweite Laden nach einem halben Jahr pleite geht. Aber wer geht denn schon gerne an so einer Autobahn spazieren? Dort mit dem Rad zu fahren ist zudem super gefährlich. Das ist alles nicht mehr zeitgemäß. Ich würde mir wünschen, dass das Auto nicht immer an erster Stelle kommt – das sage ich als Fahrradfahrer, aber auch generell als Mensch.
Du bist Hamburger. Gibt es einen Ort, der Dir besonders am Herzen liegt?
Planten un Blomen. Das war vor allem während Corona ein Segen mit den Kindern. Wir haben in dieser Zeit in einer relativ kleinen Wohnung in der Marktstraße gelebt, die Wallanlagen waren unser verlängerter Garten. Meine Kinder haben dort Fahrradfahren und Basketballspielen, Klettern und Schaukeln gelernt. Heute bin ich immer noch oft dort. Ich gehe viel spazieren und versuche eigentlich jedes Meeting mit Kolleg*innen im Gehen zu führen. Früher war dort auch meine Laufstrecke, das war herrlich. Du merkst: Ich kriege ganz leuchtende Augen. Ich vermisse diesen Park total, denn jetzt sind wir eher im Niendorfer Gehege. Das finde ich im Vergleich etwas spießig…
Du hast in Hamburg zwei Unternehmen gegründet. Ist die Stadt eine gute Stadt für Gründer*innen?
Das würde die Handelskammer sicher gerne hören… Tatsächlich komme ich einfach aus Hamburg, und zum Gründen woanders hinzuziehen, wäre dumm gewesen: Ich hatte hier ein Netzwerk, erste Anknüpfungspunkte, und es gibt ein großes kulturelles und popkulturelles Milieu in Hamburg. Für Lemonaid war das ideal, denn wir wollten das Thema über die Szene-Gastronomie etablieren. Ich konnte aus meiner Haustür in die Bullerei reinstolpern und das Thema vorstellen.
Du hast erst Lemonaid gegründet, jetzt bist du mit zwei Partnern Chef eines nachhaltigen Banking-Anbieters. Wie schwierig war der Umschwung von Limo zu Kreditlimits?
Einerseits hat es sich auf eine Art leicht und natürlich angefühlt, weil der Beweggrund dahinter so offensichtlich und so stark war: Dieser Wunsch, in einen Markt reinzugehen, der einen so so großen Hebel für positive Veränderung hat – der aber viel zu unzureichend genutzt wird. Das Potenzial für Veränderung war so offenkundig, dass selbst ich, der weder Ahnung von Finanzen noch Technologie hatte, schnell das Gefühl bekam: Da geht krass viel. Ich kann aber mit Gewissheit sagen: Ich hätte dieses Projekt nicht alleine begonnen. Wir hatten damals als Gründer-Trio ein sehr komplementäres Set-up, und das brauchten wir auch.
Wo musstest du umdenken?
Was wir sicher unterschätzt hatten, ist, dass ein Konto kein Impuls-Produkt ist wie eben Limonade. Ein Konto eröffnen kann man zwar in zehn Minuten, aber es fühlt sich für viele Menschen irgendwie anstrengender an. Und es braucht viel Vertrauen.
Die ganzen Lastschriften, die man ändern muss…
Dafür gibt es ja eigentlich einen Kontowechsel-Service, der das übernehmen kann. Mit Geld sind einfach Ängste und Sorgen. „Kann man dem Unternehmen wirklich vertrauen? Ich war ja immer bei der Sparkasse…“ Man muss also schon viele Anreize schaffen. Und man braucht einen langen Atem. Wir hatten uns das leichter vorgestellt. Aber mittlerweile haben schon über 120.000 Menschen Konten bei uns eröffnet. Es wird also.
Sowohl Lemonaid als auch Tomorrow sind Social Businesses. Gibt es in Hamburg ein Social Business, dass du spannend findest und das deiner Meinung nach mehr Aufmerksamkeit verdient?
Mehr Aufmerksamkeit bräuchten vor allem althergebrachte Institutionen wie die Tafel. Das sind so tolle Leute, die so gute und wichtige Arbeit machen – die aber vielleicht nicht so innovativ daherkommen und nicht so präsent auf Instagram sind. Sie stopfen Lücken, die eigentlich der Sozialstaat stopfen müsste. Da sollte man mehr hinschauen und den Einsatz würdigen.